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Anrechnung der Selbstbeteiligung bei Leistungskürzung


Die Anrechnung einer vereinbarten Selbstbeteiligung bei Kürzung der Versicherungsleistung

In Schadensversicherungsverträgen ist oft eine Selbstbeteiligung (=Selbstbehalt) vereinbart. Dabei handelt es sich um einen bestimmten Betrag, den der Versicherungsnehmer bei Eintritt des Versicherungsfalls selbst zu tragen hat. Sinn dieser Regelung ist es, Bagatellschäden vom Versicherungsschutz auszunehmen und dadurch die Versicherungsprämien zu senken.

Kürzt im Schadensfall der Versicherer seine Leistung - in der Regel aufgrund grob fahrlässigen Verhaltens des Versicherungsnehmers - stellt sich die Frage, ob die Kürzung vor oder nach Berücksichtigung der Selbstbeteiligung vorzunehmen ist. Je nach Höhe der vereinbarten Selbstbeteiligung kann es dabei durchaus um einige hundert Euro gehen.

Ein Beispiel aus der Praxis:

Der Eigner einer Motoryacht hat für sein Schiff einen Wassersportkasko-Vertrag mit einer Versicherungssumme von 150.000,- € abgeschlossen. Im Interesse eines erheblichen Prämiennachlasses hat er mit seinem Versicherer eine Selbstbeteiligung von 5.000,- € vereinbart. In der zweiten Saison läuft das Schiff auf Grund. An Antrieb und Unterwasserschiff entstehen Schäden in  Höhe von knapp 15.000,- €. Weil der Eigner die Grundberührung unstreitig grob fahrlässig verursacht hat, kürzt der Versicherer seine Leistung zu Recht um 50 Prozent.

Bei Berücksichtigung der Selbstbeteiligung vor der Kürzung ergibt sich folgende Entschädigungsleistung:

15.000,- € abzüglich SB 5.000,- € abzüglich 50% Kürzung (5.000,- €) = 5.000,- €

Wird erst nach der Kürzung die Selbstbeteiligung berücksichtigt, ist wie folgt zu entschädigen:

15.000,- € abzüglich 50% Kürzung (7.500,- €) abzüglich SB 5.000,- € = 2.500,- €

Für den Versicherungsnehmer ist es also deutlich günstiger, wenn erst die Selbstbeteiligung angerechnet und dann die Kürzung vorgenommen wird.

Was ist nun richtig?

Mit Urteil vom 3.12.2009 – 4 U 133/08 - hat das OLG Naumburg entschieden, dass erst der Selbstbehalt abzuziehen und dann zu kürzen ist. So sah das auch das Landgericht Aachen mit einer Entscheidung vom 14.07.2011 - 2 S 61/11 -.

Dagegen entschied das OLG Düsseldorf mit Urteil von 23.12.2010 - 4 U 101/10 -, dass erst zu kürzen und von dem gekürzten Betrag die Selbstbeteiligung abzuziehen sei.

Mit einem Aufsatz von Carsten M. Scheller in VersR 2011, 856 wird die Auffassung vertreten, die Selbstbeteiligung sei ersichtlich kein Teil der vertraglich geschuldeten Leistung, so dass aufgrund der im Gesetz nur vorgesehenen Kürzung der Leistung die Selbstbeteiligung zwingend vorab zu berücksichtigen sei. Davon dürfe wegen § 87 VVG auch nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers abgewichen werden.

Der Autor hält das für überzeugend.

Zu einem anderen Ergebnis könnte man kommen, wenn man die Selbstbeteiligung als Verzicht des Versicherungsnehmers auf einen Teil der vertraglich geschuldeten Leistung begreift. Nur dann könnte es (wegen § 87 VVG) auf die vertraglichen Regelungen ankommen. Das ist aber fernliegend. Vielmehr wird es sich bei der Selbstbeteiligung um eine bewusste Unterversicherung handeln (vgl. Prölss/Martin/Armbrüster, 31. Aufl. 2021, VVG § 75 Rn. 9-17), so dass die Selbstbeteiligung gerade kein Teil der Leistung ist.

16.01.2022, A. Kujawa

Nachtrag:

Mit Entscheidung vom 21.12.2021 - I-7 U 31/21 - hat auch das OLG Hamm entschieden, dass zunächst die Selbstbeteiligung abzuziehen und erst dann die Leistung zu kürzen ist.

06.10.2022, A. Kujawa