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Rechtliches Interesse an der Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens


Landgericht Flensburg und Landgericht Berlin zur Zulässigkeit des selbständigen Beweisverfahrens gemäß  § 485 Abs. 2 ZPO

Will der Käufer eines Wasserfahrzeugs (bzw. der Besteller von Werkleistungen) Mängel gerichtsfest gutachterlich feststellen lassen, ist dafür oft die Einholung eines Gerichtsgutachtens im Wege des selbständigen Beweisverfahrens das geeignete Mittel. Vergleichen Sie hierzu auch unseren Beitrag vom 03.03.2018.

Gemäß § 485 Abs. 2 ZPO setzt die gerichtliche Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens vor Anhängigkeit eines Rechtsstreits voraus, dass der Antragsteller ein rechtliches Interesse an den gewünschten Feststellungen hat. Ein solches rechtliches Interesse ist nach dem Gesetz anzunehmen, wenn die Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann.

Antragsgegner versuchen deshalb gern, die Einholung des Gerichtsgutachtens zu vereiteln, indem sie einwenden, der Rechtsstreit würde sich dadurch nicht vermeiden lassen, weil man auch nach Vorlage des Gutachtens unabhängig von den getroffenen Feststellungen keinesfalls nachgeben werde.

Dieser Einwand hat regelmäßig keinen Erfolg.

In einem von uns betriebenen Verfahren vor dem Landgericht Flensburg führte die 3. Zivilkammer mit Beschluss vom 23.04.2020 - 3 OH 7/19 - dazu aus:

"Der Antragsgegner hat ein rechtliches Interesse (...) an der Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens. Dieses Interesse ist sehr weit zu verstehen; es wird nur verneint, wenn kein Rechtsverhältnis, kein Prozessgegner oder kein Anspruch ersichtlich ist. Das Interesse ist nicht auf die Vermeidung eines Rechtsstreits beschränkt; dies ist nur ein Beispiel für das Vorliegen dieses Interesses. Obwohl vorliegend absehbar ist, dass das selbständige Beweisverfahren angesichts der offenbar zwischen den Parteien streitigen vertraglichen Grundlage und der zwischenzeitlich erfolgten (...) Reparaturarbeiten an der Segelyacht  voraussichtlich wenig Nutzen für eine Befriedung des Streits zwischen den Parteien bringen wird, war es zuzulassen."

Entsprechend äußerte sich auch das Landgericht Berlin in einem anderen von uns betriebenen Verfahren mit Hinweis vom 22.08.2019 - 89 OH 2/19 -. Das LG Berlin stellte unter Bezug auf BGH-Beschluss vom 16.09.2004 - II ZB 33/04 - klar:

"Voraussetzung ist lediglich, dass der Antragsteller ein rechtliches Interesse an der zu treffenden Feststellung hat. Dieses kann nur in völlig eindeutigen Fällen verneint werden, in denen evident ist, dass der behauptete Anspruch keinesfalls bestehen kann (...). Dies dürfte vorliegend nicht der Fall sein. Des Weiteren steht der Annahme des rechtlichen Interesses nicht entgegen, wenn der Antragsgegner seine Einstandspflicht leugnet oder sich auf einen Gewährleistungsausschluss beruft."

Selbst wenn also einem behaupteten Anspruch erhebliche rechtliche Einwände entgegenstehen und es erst in zweiter Linie auf die begehrten Tatsachenfeststellungen ankommt, fehlt es nicht am rechtlichen Interesse, diese Feststellungen noch vor Klageerhebung durch Gerichtsgutachten treffen zu lassen.

Das selbständige Beweisverfahren kommt auch in anderen Konstellationen in Betracht, z.B. bei Havarie- oder sonstigen Schadensfällen und bietet sich insbesondere an, wenn Forderungen nur der Höhe nach streitig sind (z.B. Höhe des vom Unfallgegner oder Kasko-Versicherer zu ersetzenden Reparaturaufwands).

07.06.2020, A. Kujawa